Donnerstag, 27 August 2009#

Vitalgebäck auf 3000 Metern Höhe#

Die letzten beiden Tage waren absolut schrecklich. Selten auf der Reise habe ich mich so alleine, so gefangen und so ausgeliefert gefühlt.

Total ausgepowert kämpfe ich mich stundenlang gegen brutalen Gegenwind über Ödnis um den Song-Köl-See, vorbei an Jurten, in denen geldgeile Kirgisen auf Touristen lauern. Das Bergpanorama um den See langweilt mich.

Ich mag nur weg und vor allem ​runter​! Bei weit über 3000 Meter, den Anstrengungen bei der Auffahrt bei mehr als 160bpm Herzfrequenzen und mehr als 500 Metern Unterschied zur gestrigen Schlafstätte habe ich Sorge, dass mein Körper die Strapazen gut wegsteckt. Irgendwo muss doch die Abfahrt sein!

Zudem habe ich mitten in der Wildnis den zweiten Platten für heute. Die Straßen sind zuviel für die Marathon XR. Heute morgen hat sich ein kleines Drahtstückchen eingebohrt und jetzt gibt es einen astreinen Snakebite (=Schlangenbiss) - ein Loch auf jeder Seite des Reifens.

Ein kirgisischer, einäugiger Bauer leistet mir “Gesellschaft” und starrt mir bei jedem Handgriff auf die Finger. Ich erschrecke, als er auch noch anfängt, ein traditionelles Lied anzustimmen. Meine Stimmung ist eisig, wie der Wind, der mich seit Tagen umwirbt. Ich kann kaum noch lachen, denke an Heimflug, ein warmes Bett, Geborgenheit.

Schnell ziehe ich einen nagelneuen Hinterreifen auf. Bloß weg hier. Aber durch die Kälte ist der neue Reifen noch steif und ich reiße mir beim Stülpen tief die Seite vom Daumennagel ein. Jetzt blute ich auch noch!

Der alte Mann hilft mir fürsorglich und ich kann bald weiterfahren. Kurze Meter weiter winkt mir eine Frau zu. Ich zögere, fahre dann doch den Weg zu ihrer Jurte und genieße beim warmen Bollerofen süßen, schwarzen Butter-Tee, Kumis und Fladenbrot mit lecker Fetttunke! Eine Wohltat nach den Strapazen, denn es schmeckt LECKER!

Dat Kumis ist etwas gewöhnungsbedürftig, etwa wie flüssiger Kefir. Noch etwas saurer und mit mehr “Tier-Aroma”. Unbedingt probieren, denn es ist sehr erfrischend! Habe es sehr gut vertragen!

Danach fahre ich etwas gestärkt weiter. Es geht immer flach gerade aus. Mal rechts, mal links eine Jurte. Sonst Pferde, Schafe und Ziegen. Und fade Weite. Vor mir zieht ein Gewitter auf und ich stelle hektisch mein Zelt auf. Kaum steht das Zelt, quietscht auf dem Hügel über mir eine Kinderstimme “Tourist!”. Ich hasse es!

Kurz darauf erscheint auch Vater und Mutter, die mich etwas finster anschauen und verdeutlichen, dass ich besser zu ihnen an die Jurte komme. Ich nehme das gastfreundliche Angebot an, baue mein Zelt ab, wobei meine Zeltunterlage einreißt und fast davon fliegt, so sehr stürmt es.

Als ich die Jurte erreiche, packt der Mann mit an. Schneller als ich gucken kann - vor allem schneller als ich nach dem Preis fragen kann - liegt mein Gepäck im Innern der Jurte. Umständlich wiegelt er sich um eine Antwort, bis schließlich seine Frau das Wort ergreift und 375 SOM fordert.

Das erscheint mir für einen Zeltplatz zuviel und ich mache klar, dass ich nur 200 SOM habe. Die Frau bleibt stur und ich reise benommen weiter.

Zum Glück tröpfelt es nur etwas und ich erreiche 10 Kilometer weiter völlig leer eine weitere Jurtensiedlung. Dort bietet mir man den Zeltplatz für 100 SOM an, was mir fairer erscheint.

Kaum habe ich Rondolf abgestellt, werde ich in die Gaststuben-Jurte gedrängt. Das Zelt kann ich auch später aufbauen, versichert mir der Mann - man warte auf mich mit dem Essen!

Obwohl ich überhaupt keinen Hunger habe, folge ich der vermeintlichen Einladung und trete in die warme Stube, in der ein rauschendes Fest im Gange ist.

Vier Kirgisen und eine Frau sitzen am gedeckten Tisch und heißen mich herzlich willkommen. Ein Sprachgewirr bricht über mich herein. Die Situation überfordert mich völlig und erst jetzt spüre ich, wie unterkühlt ich bin.

Zitternd löffle ich die Suppe, in der ein grob gehacktes Stück Wirbelsäule liegt. Dabei beantworte ich so gut es geht Fragen und schlürfe dabei mein zweites Kumis für heute. Es hat keine Kräuter beigemischt und schmeckt nochmal ganz anders.

Als der Wodka gereicht wird, wird die Stimmung immer penetranter. Ich komme kaum noch zum Essen, werde gedrückt, habe Angst um mein Hab und Gut, aber alles verläuft am Ende friedlich.

Die Jungs haben ordentlich einen im Tee und laden mich ein, bei ihnen in der Jurte zu schlafen. Draußen fegt ein fieser Sturmregen mit Blitz und Donner übers Land und es ist stockdunkel.

Unter diesen Bedingungen mag ich kein Zelt aufbauen und mache es mir mit den anderen in der Jurte so bequem wie möglich. Die Jurte ist übervoll und wir schlafen auf engstem Raum.

Der Ofen stinkt mehr als er wärmt, es wird gerülpst und gefurzt, dass es eine Freude ist. Mir wird kalt und allmählich hundeelend.

Als um kurz vor 1 Uhr aus dem Rülpsen und Schlucken meines Bettnachbarn echtes Kübeln wird, pocht mein Herz noch wilder an die Brust. Ich ringe um Fassung und frische Luft. Noch nie habe ich solche Laute gehört. Die Ladung geht voll nebens Bett IN der Jurte.

Einzige Frage in diesem Moment: Wann kommt der Gestank? Der typische Gestank nach Buttersäure bleibt aus, statt dessen riecht es nach halb verdautem Hammelfleisch, Stutenmilch und Kot.

Im Halbschlaf höre ich, wie sich um 3 Uhr nochmal die grüne Gallenflüssigkeit nach draußen befördern will. An Schlaf ist nicht mehr zu denken und ich erwäge ernsthaft, die Zeche zu prellen und abzuhauen.

Meine Müdigkeit und der Anstand verhindern jedoch eine frühzeitig Flucht und so komme ich noch in den Genuss des Frühstück-Brecherchens um 6 Uhr morgens - diesmal VOR dem Zelt.

Als ich abreise, werden 400 SOM fällig. Für eine solche Nacht und eine Suppe, bei der ordentlich Salz gefehlt hat.

Ich fühle mich verarscht und richtig mies. Auf den ersten Metern würgt es mich auf der Holperpiste bei jedem Schlagloch. Meine Kleider stinken noch lange nach dieser Nacht und der Klang des langen, elenden Würgens verfolgt mich noch bis tief ins Tal.

Hände weg vom russischen / kirgisischen Wodka. Ich habe von vielen Reisenden gehört, dass selbst nach wenigen Gläsern übelste Probleme auftreten, die bis zu zwei Tage Kotzerei nach sich ziehen können!

Meine Stimmung ist jetzt endgültig auf dem Tiefpunkt. Wenn mir jetzt noch irgendein Kirgise dumm kommt, wird es körperlich. Kilometerlang wüten schlimme Gedanken durch meinen Kopf. Dieses Land kotzt mich im wahrsten Sinne des Wortes an.

Auch die Kinder am Rand nerven, das Gepfeife geht mir vollends am Hinterrad vorbei und ich düse so schnell ich kann davon. Der Stich zum Pass ist kurz und heftig. Dank mehrerer Pausen komme ich dennoch heil oben an und kann es kaum glauben.

Der Ausblick ist gigantisch, wird jedoch von einem Jeep gestört. Als dann noch ein kirgisischer Mann mit Fotohandy aussteigt, ballen sich meine Fäuste und ich wende mich ab. Der fehlt mir gerade noch!

Aber es bleibt ruhig. In der Ferne höre ich sogar deutsche Stimmen. Jetzt drehe ich total durch, sage ich zu mir und drehe ich um. Es sind tatsächlich zwei Frauen aus Deutschland, die mit einem kirgisischen Reiseleiter das Land erkunden (weise Entscheidung!). Ich muss schmunzeln.

Schnell kommen wir ins Gespräch und sie bauen mich nach allen Regeln der Kunst wieder auf. Als Abschiedsgeschenk erhalte ich eine Packung VitalGebäck! Mit Sonnenblumenkernen!! Aus Deutschland!!!

Danke für diese leckeren Kekse! Sie haben mir bis jetzt jeden Pass versüßt!

Als der Jeep um die Ecke biegt, sind meine Sorgen wie weggeblasen und ich kann den herrlichen Ausblick richtig genießen.

Die Natur ändert sich wieder völlig. Bäume und sattes Grün säumen den Weg. Ein klarer Bach springt in der Mitte und ich finde einen traumhaften Zeltplatz, wo ich meine Reifen flicken kann und zwei Nächte sehr ruhig schlafe.


Ort: Naryn, Naryn, Naryn, Kyrgyzstan GPS: 41.43000030517578, 76