Montag, 27 Juli 2009#

Druckreifes Wechselbad deluxe#

Matt und gar nicht satt trete ich meine Fahrt gen Krasnodar an.

Der Himmel ist bewölkt, der Wetterumschwung drückt auf die Seele. Ich fühle mich mies.

Auch die Straße ist völlig verändert. Hat sie mich gestern noch sanft und gut gebaut durch die Landschaft getragen so keift sie mich heute mit groben Schlaglöchern an und erschwert mir die Weiterfahrt mit fehlenden Standstreifen.

Glasscherben und Dreck liegen überall herum. Nach einer halben Stunde fallen dann auch noch die ersten Tropfen, die Schlaglöcher sind voll mit Wasser.

Die Mischung aus Abgasen, Hupen, grauem Himmel, Dreck und Gratis-Duschen von links ist einfach schrecklich. Wie oft sehne ich mir den kuscheligen VW-Bus herbei! Einige Male bleibe ich stehen und blicke zurück, um ihn vielleicht zu sehen. Es sind mit die brutalsten Meter meiner Reise.

Nach zwei Stunden ist die Moral gebrochen und ich verlasse die Hauptstraße auf die vermeintlich ruhigere Landstraße gen Severskaja, wo ich mich in einem kleinen Laden mit Wurst, Käse und Brot eindecke.

Als ich aus dem Laden trete entlädt sich ein Wolkenbruch. Noch bevor ich meine Regensachen an habe, bin ich und mein Einkauf nass.

Zum Glück konnte ich diesen Fall in Tschechien gut trainieren und so lege ich ruhig den Fokus meines Blickes ins Leere und kaue genügsam mein Brot. Ich denke an den Duft der Krim und die Sonne.

Die schönen Bilder wecken wieder Lust und wenig später rolle ich ins Zentrum. Die Weiterfahrt ist aber eher ein planloses Umherirren.

Da es immer noch regnet beschließe ich die Zeit in einem Internet-Cafe zu verbringen. Und welch Zufall: Kurz darauf finde ich ein großes Schild “Internet-Club”. Doch welch Schreck: Das Netz funktioniert nicht.

Kurze Zeit später befinde ich mich in einem Gebäudeeingang mit lauter Frauen umgeben. Auf der Suche nach dem Internetz bin ich einem Schild gefolgt, dass vom Design an solche Einrichtungen erinnert.

Die Frauen sind außer sich und total entzückt. Sie stellen allerhand Fragen und notieren sich meine Antworten. Ich werde stutzig, packe aber auf bestem Kauderwelsch russische Floskeln aus: Ich suche Internet-Cafe oder wenigstens eine Karte von der Gegend.

Wie sich herausstellt bin ich direkt in die Redaktion der hiesigen Lokalzeitung gestolpert. Ruckzuck ist das Gruppenfoto geschossen. Auch wenn ich auch eine Stunde später weder Internet noch Karte habe: das ist Balsam für meine geschundene Moral!

Als die Chef-Redakteurin mir dann noch mit ihrem Lada den Weg zur Autobahn zeigt, erreicht meine Lust aufs Weiterfahren wieder annähernd Normalniveau.

Sie führt mich auf den Weg, den ich direkt am Anfang eingeschlagen habe - und wo ich wieder umgekehrt bin, da er mir falsch erschien…

Im Nachhinein bin ich sehr dankbar für diesen “Umweg” und total gespannt, wie sie die Geschichte um den Fremden aus der Ferne ausschmücken.

Gestärkt trete ich die letzten 25 Kilometer an, merke aber, dass heute keine großen Sprünge mehr zu erwarten sind. Ich bin mental und körperlich leer.

Als ich beschließe, bei der nächsten Tankstelle mein Gemüt mit Süßigkeiten zu besänftigen, ertönt hinter mir ein Hupkonzert.

Die Dänen fahre lachend und winkend an mir vorbei. Mir schießen Freudentränen in die Augen und ich muss Rassmus vor lauter Überschwang sogar als Begrüßung drücken (im Nachhinein etwas unhöflich, denn meine Kleidung ist nass und ekelig).

Ich stammele etwas vor mich hin und wir laden kurzerhand das Rad wieder ein. Wärme! Danke!

Auch heute bewährt sich unser Teamwork. Wir finden uns gut in der hektischen Stadt zurecht und beziehen gute Zimmer im Intourist Hotel Krasnodar.

Morgen werden sich unsere Wege jedoch endgültig trennen. Sie versuchen mit dem Zug nach Volgograd zu fahren, denn ihre Zeit wird knapp. Ich werde auf der Nebenstrecke meine Radtour fortsetzen, in der Hoffnung, dass die Fahrt dort ruhiger wird.

Die Gespräche mit ein paar russischen Autofahrern stimmen optimistisch: der Weg, den ich nach Volgograd gewählt habe, sei sehr ruhig und schön.


Ort: Интурист / Intourist, Krasnodar, Krasnodarskiy Kray, Russia GPS: 45.036685943603516, 38.97372055053711