Samstag, 18 Juli 2009#

Was’n Kwas’n?#

Um 23:29 Uhr geht der Zug nach Simeropol. Nun ist es kurz nach 10 Uhr. Die Sonne scheint. Ich hab gut gefrühstückt und liege nun noch etwas im Bett. Eigentlich alles bestens.

Obwohl ich erst um 12 Uhr auschecken muss, fühle ich mich dennoch seltsam gehetzt. Das Poltern der Putzkolonne kommt immer näher.

Gegen Mittag mache ich Rast in einem Park und versuche mich an zwei Kreuzworträtseln. Kurze Zeit später setzt sich eine waschechte Babuschka (Omi) direkt neben mich.

Ich zucke leicht zusammen, starre weiter aufs Rätsel und hoffe insgeheim, dass sie bald wieder weitergeht. Ich hab keine Lust auf oberflächliches Gebrabbel, das bisher leider zu oft mit betteln endete.

Sie heißt Luba, ist 70 Jahre alt und ein durch und durch herzlicher Mensch!

Sie spricht hervorragend Englisch und wir reden viel über ihr Leben, die Ukraine und meine Reise.

Gespannt lausche ich ihren Erzählungen über Taschkent in Usbekistan, wo sie lange gelebt hat. “Odessa ist viiiiel schöner!” lacht sie.

Als meine Finger auf der Karte über Kasachstan wandern, rät sie mir dringend, diesen Abschnitt zu überfliegen. Zu der angepeilten Jahreszeit wäre die Reise über Land durch Sandstürme und die Hitze lebensgefährlich.

Ich glaube ihr und als sie aufbricht, um ihren obdachlosen Hunden Essen zu bringen, tut es einen kleinen Stich. Danke für das schöne Gespräch Luba! Ich werde Deinen Rat befolgen.

Wenig später begebe ich mich zum Bahnhof. Das Thermometer zeigt 38 Grad Celsius.

Der Zug fährt eine gute Stunde vor Abfahrt in den Bahnhof ein. Genügend Zeit also, in Ruhe einzuladen und meine Kabine zu suchen. Dank Juri habe ich meine Strategie bzw. mein Lächeln für Zugbegleiterinnen optimiert und so fährt Rondolf diesmal kostenlos mit. :)

Zu meinem Schrecken beziehe ich eine Kabine mit vier Betten! Meine Hoffnung auf ein nettes Zwiegespräch im komfortablen Zweibettabteil als Geburtstagsgeschenk schwindet.

Auch der Zug ist deutlich älter und abgenutzter als bei meiner Premiere. Kaum sitze ich, umzingeln mich auch noch drei Ukrainer und eröffnen über mir ein Sprachgewitter. Der eine ist mir mit seinem markigem Gesicht schon beim Warten aufgefallen. Ich bin klatschnass geschwitzt.

Eigentlich ist der Fall ganz einfach, beschäftigt uns aber dank der Sprachbarriere fast den ganzen Abend:

  1. Der Vater möchte mit Sohnemann in dem Abteil liegen.
  2. Die zwei Freunde möchten zusammen mit dem Vater sein, um zu plaudern.

Ich bin “zuviel”. Nach langem hin und her teilen wir uns die Kabine zu fünft bis zur Schlafenszeit. Dann verschwindet der eine in seine Koje.

Als es zwölfe schlägt, sitze ich zwischen drei halb nackten Ukrainern, die ordentlich Brotzeit feiern, Vodka trinken und mich mit Fragen durchlöchern. Mit meinem Bier stoße ich mit an. Die Einladung zum Mitessen und -trinken schlage ich aus.

Bis spät in die Nacht versuche ich ihre Fragen zu beantworten und lausche ihrer Sprache. Vor allem aber lachen wir viel.

So langsam glaube ich, dass man die Ukraine wunderbar im Zug kennenlernen kann.

Um kurz vor sechs Uhr steigen sie aus und es wird nochmal laut.

Simferopol erreichen wir kurz vor zwei Uhr mittags bei traumhaftem Wetter. Es ist heiß. Aus den Lautsprechern dröhnt laute Marschmusik. Routiniert lade ich aus und bemerke stolz: Auch die zweite Fahrt wäre hiermit gut überstanden.

Ich fühle mich trotz langem Schlaf etwas unausgeschlafen. Dennoch fahre ich direkt weiter auf der recht stark befahrenen N 06 Richtung Sebastopol.

In Bachčisaraj mache ich Rast in einer kleinen Bar mit hübschen Außenbereich. Im Angebot: квас (Kwas).

Diesmal wage ich den ersten Schluck vom mysteriösen Getränk, das an fast jeder Straßenecke in großen gelben Tanks ausgeschenkt wird.

Aus Angst vor Darmproblemen o.ä. mit dem einheimischen Gebräu hatte ich mir den Genuss dieser Spezialität untersagt. ​Versuch macht kluch​: Der Geschmack ist sensationell und schlägt Kofola bei weitem!

Mit einer großen Flasche квас bepackt finde ich drei Gläser später ein günstiges Hotel, wo ich sofort nach der Dusche mein Schlafdefizit ausgleiche.

Ps: Bis jetzt verspüre ich übrigens keinerlei Probleme im Verdauungstrakt - im Gegenteil! Das vergorene Schwarzbrot gibt Kraft und schmeckt sogar warm noch recht gut!


Ort: Odessa, Odessa, Odessa, Odessa, Ukraine GPS: 46.47176742553711, 30.71980094909668