Sonntag, 28 Juni 2009#

Verflickst und zugenäht

Bis zum Frühstück um 7:30 Uhr verbringe ich zwei Stunden mit Aufräumen und Sachen packen.

Das Zimmer sieht aus wie eine Trockenkammer. Im Schrank hängen Trikot und Regenjacke.

In der linke Ecke liegt ausgebreitet über dem Sessel die Regenhose, davor die Überschuhe mit Innenseite außen. Rechts über Stuhl und Schreibtisch Radhose, Geldgürtel, Armlinge und Handschuhe. Dazwischen Packtaschen, die weiß-baun marmorierte Hotelhandtücher und - mit polnischen Käseblatt ausgestopfte - Radschuhe.

Trotz aller Bemühungen sind die Sachen noch feucht. Als kleiner Trost scheint es draußen freundlicher als gestern zu sein. Mit leiser Hoffnung geht’s zum Frühstück. Als ich danach meine normale Radbekleidung anlege, nieselt es gegen das Fenster. Also: Regensachen wieder an.

Nach einem kurzen Plausch mit der Dame an der Rezeption (Herkunft, Ziel, Wetter) trete ich aus dem Haus hinein in eine intensive Schwüle.

Sofort öffnen sich die Schweißporen und das warme Nass rinnt am Rücken runter. Unter dem Dach der Camping-Duschen flicke ich die beiden Reifen. Zwei polnische Radler schauen mir dabei interessiert zu.

Wie sich herausstellt haben die beiden Löcher nichts miteinander zu tun. Das zweite Loch ist erheblich kleiner als Nr. 1 und wohl durch ein eingeschlossenes Sandkorn entstanden. Kurz darauf rollt Rondolf wieder und ich fahre mit mulmigen Gefühl ins nahe gelegene “Museum Auschwitz”.

Am Eingang herrscht Hochbetrieb. Zig Busse kommen an oder fahren wieder ab. Ich stelle Rondolf an einem Infoschild ab und bin kurz darauf auch schon umgeben von den Häuserblöcken des Konzentrationslagers.

Trotz der vielen Touristen bin ich plötzlich wieder ganz alleine. Die anfängliche Unsicherheit, ob ich mit meinen Rad- bzw. Regenklamotten passend gekleidet bin, verfliegt schnell, als ich die anderen Besucher sehe: knallbunte Röckchen, Stöckelschuhe und rücksichtsloser Einsatz von Mobiltelefon und Fotoapparat. Dennoch gehe ich ruhig durch diesen Ort, der noch lange lange nachwirkt.

Um kurz vor 14 Uhr breche ich wieder auf. Als ich losfahren will springt ein Spanier von der Seite auf mich zu und wir unterhalten uns einen Moment über unsere Reisevorhaben. Nachdem er in den Shuttlebus nach Auschwitz-Birkenau gestiegen ist, kommt mit einem Schlag die Sonne hinter den Wolken hervor und es wird brüllend heiß.

¡Que grande! ¡Gracias amigo!#

Ich reiße mir die Regensachen vom Leib und genieße die Weiterfahrt in kurzer, luftiger Kleidung. Kurz schaue ich noch dem Spanier hinterher und überlege, nicht doch auch noch den restlichen Teil anzuschauen.

Bewusst verzichte ich auf die Besichtigung von Auschwitz-Birkenau. Ich spüre, dass es jetzt an der Zeit ist, weiter zu fahren und das gesehene zu verarbeiten. “Hierher komme ich noch einmal”, sage ich mir und trete mit gemischten Gefühlen den Weg an.

Einerseits freue ich mich total, dass die Sonne scheint und meine feuchten Sachen endlich mal wieder so richtig trocknen können, andererseits pochen die eben gesehenen Bilder im Kopf. Ich konzentriere mich auf den Weg, der bis auf zwei Flussüberquerungen (“Abpacken!”) unspektakulär verläuft.

Der Tagespunkt “Unterkunft suchen” versaut mir dann wieder den Tag.

Just in dem ich feststelle, das weit und breit keine Unterkunft zu finden ist, kommt das Gewitter runter, von dem ich gehofft hatte, dass es an mir vorbeizieht. Binnen Sekunden bin ich wieder triefend nass.

Als ich das merke, versuche ich gerade mit einem Wachmann zu klären, wo die nächste Pension ist. Sie liegt im 11 Kilometer entfernten Chrzanów - wo genau, müsse ich dann nochmal vor Ort fragen. Nach fast 50 Kilometern und 3 Stunden sehne ich mich nach Ruhe.

Statt dessen geht’s jetzt nochmal richtig zur Sache. Es wird dunkel, die Landstraße ist stark befahren und mit Pfütze und Schlaglöcher gesäumt. In diesen Momenten ist es unglaublich schwer, die Nerven zu bewahren. Leichte Panik macht sich breit.

Wieder hilft nur die Flucht nach vorne und so heize ich die nasse Landstraße entlang. Am Ziel frage ich ein junges Pärchen nach dem Weg. Sie eskortieren mich zum Hotel, wo ich freundlich (und auf deutsch) empfangen werde. Nachdem die Formalitäten geklärt sind, falle ich in einen langen, tiefen Schlaf.


Ort: Chrzanów, Chrzanów, Lesser Poland, Poland GPS: 50.13333511352539, 19.399999618530273