Freitag, 19 Juni 2009#
Trauer für einen Unbekannten
Im Halbschlaf schließe ich das Fenster. Es klemmt. Draußen schüttet es und der Verkehr zischt über die nasse Straße. Es ist 4:33 Uhr und mein Kopf voll mit halb fertigen Träumen.
Unaufgeräumt schlurfe ich um halb neun zum Frühstück und nutze kurz darauf die Regenpause, um schnell das Rad zu packen und trockenen Fußes die Tour zu beginnen.
Nach 12 Kilometern holt mich der Regen jedoch ein. Dann ein Blitz. Ich zähle eins, zw… schon tut’s vor mir einen lauten Knall und wie auf Kommando prasseln jetzt extra-dicke Tropfen vom Himmel. In Nullkommanix bin ich pitschepatsche nass. Feucht bis auf die Knochen.
Dank meiner optimistischen Lebenseinstellung (!) hatte ich vorerst auf die wasserdichten Überschuhe verzichtet, die ich jetzt fluchend versuche über die nassen Schuhe zu ziehen. Mit nassen, klammen Händen auf einem schlammigen Feldweg ist das kein Spaß. Zumal dann nicht, wenn zusätzlich noch dreckige LKW an einem (in Greifnähe) vorbei düsen.
Der Tag ist eigentlich nach knapp zwanzig Kilometern schon gelaufen. Die Beschilderung ist mies, der Regen gnadenlos und das Streckenprofil saugt innerhalb weniger Kilometer meine Beine leer.
Ich nutze die Zeit, um neue Flüche und Schimpfwörter auszuknobeln und mache mir Moral mit “in der nächsten Gaststätte sauf ich den Getränkevorrat leer”. Leider ist die nächste Trinkmöglichkeit über 15 Kilometer entfernt.
Dort angekommen stelle ich lustlos mein Rad ab und setze mich mit triefenden Klamotten in die gute Stube. Es bleibt bei zwei Kofola, denn irgendwie ist die Stimmung hier seltsam. Unangenehme Blicke treffen mich. Schon draußen sind mir uniformierte Männer aufgefallen. Und hier tragen alle schwarz.
Kurze Zeit später ertönt Trauermusik und in einem langen Marsch wird ein Sarg durchs Dorf getragen. Im Gasthaus stehen alle am Fenster. Nur ich sitze und nippe benommen an meinem Glas. Irgendwie “passt” heute alles. Die ganze Glückseligkeit der letzten beiden Tage ist wie weggespült.
Im Laden um die Ecke fülle ich meine Keks-Rationen wieder auf und mache mich auf die Suche nach einer Pension. Ein paar zähe Kilometer weiter werde ich fündig und trage meine sieben Sachen in mein Zimmer und nehme ein warmes Bad. Über mir prasselt der Regen aufs Dachfenster und im Nebenraum trocknen die Klamotten.
Der Tag endet nach vier Stunden und gut 62 Kilometern im strömenden Regen in Palačov, unweit von Nový Jičín. Ich nehm’ mir noch einen Keks und bin gespannt, wie’s weiter geht.
Ort: Palačov, Palačov, Moravia-Silesia, Czech Republic GPS: 49.55021667480469, 17.91986083984375